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Er zählt zu den grössten Gitarristen im Jazzrock. Vom Formel-1-Künstler wurde John McLaughlin zum Poeten. Jetzt tritt er in Zürich auf.
Manfred Papst
4 min
Als er die erste Gitarre in die Finger bekam, war er elf. Ein Bruder hatte sie nach Hause gebracht, aber bald die Lust am Schrummen verloren. Einem zweiten Bruder ging es gleich, und er überliess das lästige, klapprige Ding, das einem Dobro glich, dem kleinen John. So begann in einem Kaff im südlichen Yorkshire die Karriere eines der bedeutendsten Jazz- und Rockgitarristen unserer Zeit.
John McLaughlin, geboren am 4.Januar 1942 in Kirk Sandall, tauchte als Teenager zunächst in den Blues ein. Seine erste eigene Platte war eine von Muddy Waters. «Aber dann kam schon der Flamenco», erinnert er sich im Gespräch, für das er sich bereitwillig Zeit nimmt, «und zwar gleich in Gestalt des Virtuosen Sabicas. Der blies mich um.»
«Ich habe nicht das Gefühl, Musik zu machen. Eher erlebe ich es so, dass ich sie nur zulassen muss, indem ich mich öffne und leer werde.»
Mit Jack Bruce und Ginger Baker, die wenig später mit Eric Clapton die Supergruppe Cream bildeten, spielte er schon 1963 zusammen. Nicht auszudenken, wie die Rockgeschichte verlaufen wäre, wenn er die Stelle Claptons eingenommen hätte! Doch dann kam der Jazz dazwischen.
Mit Ian Carr und Gunter Hampel ging es los. Der Bassist Dave Holland lud McLaughlin 1969 in die USA ein, und der junge Brite wirkte auf den bahnbrechenden Alben «In A Silent Way», «Bitches Brew» und «Tribute To Jack Johnson» des Jahrhundertgenies Miles Davis mit, bei dem Dave Holland damals spielte. Gleichzeitig gründete er mit dem Schlagzeuger Tony Williams die Band Lifetime, eine der besten Jazzrock-Formationen jener Zeit.
Zum Festival «JazznoJazz»
Das Zürcher Festival «JazznoJazz» läuft vom 30. Oktober bis zum 2. November. John McLaughlin tritt mit seiner Band The 4th Dimension am Eröffnungsabend in der Gessnerallee auf. Weitere Attraktionen in der 21. Ausgabe sind Morcheeba, Charles Lloyd, Rickie Lee Jones, Level 42, Juan de Marcos’ Afro-Cuban All Stars und The Brand New Heavies. (pap.)
Die kurzen wilden Jahre von Sex, Drugs und Rock’n’Roll nahmen für McLaughlin ein jähes Ende, als er unter dem Einfluss des hinduistischen Gurus Sri Chinmoy (1931-2007), der seit 1964 in den USA lebte, die Spiritualität entdeckte. Seither sucht man im Leben des Gitarristen, der viermal geheiratet hat, vergeblich nach Skandalen. 1971 gründete er die Fusion-Gruppe Mahavishnu Orchestra. Das Quintett mit Billy Cobham am Schlagzeug schrieb Geschichte.
Weiss gewandet und geläutert präsentierte McLaughlin sich 1973 Seite an Seite mit Carlos Santana, mit dem er das Album «Love Devotion Surrender» aufnahm und damit der inbrünstigen Hymnik John Coltranes Tribut zollte; mit dem Bandprojekt «Shakti» machte er die indische Musik im Westen auf nachhaltigere und professionellere Weise populär als beispielsweise der Beatle George Harrison unter dem Einfluss des Sitar-Papstes Ravi Shankar. Eine weitere Stufe der Popularität erlangte er im Trio mit Paco de Lucia und Al Di Meola. Die drei Gitarrenhelden füllten mit ihren halsbrecherischen Läufen die Säle und verkauften vom Live-Album «Friday Night In San Francisco» zwei Millionen Exemplare.
«Es waren Jahre», sagt McLaughlin im Rückblick, «in denen eine breite Öffentlichkeit offen war für anspruchsvolle, innovative Musik. Heute ist die Szene zersplittert. Es gibt keine Osmose mehr zwischen den Sparten.» Gleichwohl bleibt der 77-jährige Künstler, der immer noch fit ist wie ein Turnschuh, unverdrossen. Seit 2009 verfolgt er das Bandprojekt «The 4th Dimension», mit dem er Kompositionen aus allen seinen Schaffensphasen neu interpretiert.
Zur derzeitigen Formation gehören der amerikanische Keyboarder Gary Husband, der aus Kamerun stammende, in Paris aufgewachsene Bassist Etienne Mbappé und der indische Drummer Ranjit Barot. Mbappé und Baro könnten McLaughlins Söhne sein, doch sie begegnen ihm auf Augenhöhe. «Es ist unglaublich, wie wir uns verstehen», sagt der Gitarrist. «Mit diesen dreien gelingt es mir, in der Musik das zu sagen, was ich beim besten Willen nicht in Worten ausdrücken kann.»
McLaughlin ist überzeugt, dass sich in der Musik sein Inneres nach aussen kehrt, ohne den Weg übers Bewusstsein zu nehmen. «Ich habe nicht das Gefühl, Musik zu machen», sagt er; «eher erlebe ich es so, dass ich sie nur zulassen muss, indem ich mich öffne und leer werde. Das geschieht auch, wenn ich allein musiziere. Aber im kollektiven Spiel ereignet es sich auf besondere Weise. Musik ist Mystik. Man vergisst sich ganz, ist nicht mehr in seinem Körper und existiert nur noch im gemeinsamen Klang.»
Dieses mystische Erleben schliesst für McLaughlin Weltläufigkeit und Humor nicht aus. Er lacht gern. Vom Rap und Folk lässt er sich so faszinieren wie von der Oper. Sorgen macht er sich jedoch über die Entwicklung der Musikindustrie. «Sie ist nicht nur ökonomisch weitgehend zusammengebrochen», sagt er. «Der Werkcharakter des Albums, bei dem Künstler in grösseren Zusammenhängen denken, geht beim Streamen einzelner Songs verloren. Dass man sich Musik als Hörer auch erarbeiten muss und dafür einen höheren Genuss hat, ist in der Welt des ubiquitären Gedudels nicht mehr gefragt.»
«Miles Davis hat mir damals nicht nur musikalische Welten eröffnet. Er hat mir auch immer Geld zugesteckt, wenn ich klamm war.»
Das Angebot auf Youtube ist für John McLaughlins Begriffe zwar riesig, aber so unstrukturiert, dass niemand sich mehr orientieren kann. Die Leitsterne verschwinden im kosmischen Staub. Und nicht nur für die Zuhörer – der Gitarrist vermeidet das Wort «Konsumenten», weil Musikhören für ihn etwas Aktives ist –, sondern auch für die Künstler ist die Situation ungemütlich. «Die Plattenfirmen», sagt er, «bieten keine Verträge mehr an, die den Musikern eine kontinuierliche Arbeit erlauben. Auch wenn diese viele Clicks verzeichnen, verdienen sie fast nichts. Viele begabte junge Leute können nicht von ihrer Musik leben.»
War früher alles besser? «Nicht alles, aber doch einiges», sagt McLaughlin lachend. «Die Plattenläden waren noch soziale Orte, in denen man Stunden verweilte. Und Miles Davis hat mir damals nicht nur musikalische Welten eröffnet. Er hat mir auch immer Geld zugesteckt, wenn ich klamm war.»
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